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Während meines Studiums machte ich für ein halbes Jahr ein Praktikum in der Redaktion einer mittelgroßen Zeitung, das eine wertvolle Erfahrung für mich war und ich glaube, ich nahm aus dieser Zeit mehr mit als aus allen Seminaren und Vorlesungen an der Uni (was weniger etwas über die Qualität meiner Uni aussagt als über die der fabelhaften Redaktion, deren Teil ich sein durfte). Was mir jedoch am meisten in Erinnerung haften blieb, war eine der Kolleginnen, nennen wir sie Anette. Anette arbeitete seit ein paar Jahren als Journalistin in der Redaktion und stand unablässig unter Strom, ganz so, als sei ihr Körper ein Perpetuum Mobile. Ich kann mich nicht erinnern, sie einmal länger als zehn Minuten an einem Platz sitzen zu sehen, ständig flirrte sie durch das Büro, hierhin und dorthin. Sie war gut in dem, was sie tat, wobei das den Kern nicht ganz trifft: Herausragend kommt der Sache schon näher. Bis heute weiß ich nicht, welchem Ressort Anette angehörte, denn sie schien alles zu machen: Politik, Wirtschaft, Feuilleton, Sport, Gesellschaft, Panorama, Wissenschaft, es gab kein Thema, in dem sie nicht drin war. Sie schrieb mehr als alle anderen, was wahrscheinlich daran lag, dass sie nie schlief.

Am meisten beeindruckte mich jedoch eine Charaktereigenschaft an ihr, die auf den ersten Blick wie ein Gegensatz zu ihrem rastlosen Wesen wirkte. Da Anette wie alle anderen nicht unfehlbar war, konnte es passieren, dass auch sie bzw. ihre Arbeiten manchmal Kritik einstecken mussten.

Wenn es dir wie mir und vielen anderen geht, weißt du, wie schwer es ist, mit Kritik umzugehen, ob nun unter zwei Augen oder in größerer Runde, beispielweise in einer Redaktionskonferenz. Das gilt leider nicht nur für die destruktive, ohne argumentative Unterfütterung geäußerte Kritik, die häufig an der Sache vorbei zielt und unberechtigt ist, sondern eben auch für konstruktive Kritik, die angemessen ist und uns im Prinzip ja helfen soll, Fehler zu entdecken, den eigenen Schwächen gewahr zu werden und uns und unsere Fähigkeiten verbessern. Und trotzdem fällt es uns schwer. Wir fühlen uns unwohl, das Herz beginnt zu rasen und wir gehen automatisch in die Defensive, verfangen uns in der Rechtfertigungsspirale. Da die Kritik als Angriff auf einen selbst verstanden wird, gehen einige sogar gleich zum Gegenangriff über, statt sich mit der Kritik auseinanderzusetzen.

Bei Anette war das anders. Wenn jemand ihr gegenüber (gerechtfertigte) Kritik äußerte, nahm sie diese ganz ruhig und ausgeglichen auf, als sei es das Normalste der Welt. "Es bringt mich voran", sagte sie nur, als ich sie fragte. Das war irgendwie unbefriedigend als Antwort, aber ich sah, dass es stimmte, also machte ich mir Gedanken darüber, wie der "Konstruktive Kritik aufnehmen und nutzen"-Prozess auszusehen hat:

1. Unterdrück deine erste Reaktion

Das Beste ist es, beim ersten Anzeichen von Kritik nicht darauf zu reagieren. Das klingt komisch? Ich erkläre es dir: Dein Gehirn braucht vielleicht eine Sekunde, die Situation aufzunehmen und zu verarbeiten, damit du darauf reagieren kannst. Diese erste Reaktion, die kommt, ist meist nicht immer die Beste. Verschränkte Arme, ein abweisender Gesichtsausdruck, eine schnippische Erwiderung. Du gehst fast automatisch in die Defensivhaltung. Diese erste Reaktion solltest du stoppen und versuchen, ruhig zu bleiben.

2. Erinnere dich an den Nutzen von Kritik

Mit dem Ausbleiben einer ablehnenden Reaktion hast du deinem Gegenüber signalisiert, prinzipiell offen gegenüber Kritik zu sein. Die nächsten Sekunden solltest du darauf verwenden, dir noch einmal bewusst den Nutzen von Kritik in Erinnerung zu rufen. Gute Kritik wird dir nicht einfach ins Gesicht geschleudert und soll dich auch nicht zurechtstutzen, gute Kritik hilft dir vor allem dabei, deine Fähigkeiten und die Qualität deiner Arbeit zu verbessern. Es geht nicht darum, dir zu sagen, dass das, was du tust, absoluter Murks ist, sinnvolle Kritik soll dir zeigen, dass es noch Luft nach oben gibt.

Wichtig ist es auch, dass du die Kritik von der kritisierenden Person trennst. Es muss sich nicht um deinen Lieblingskollegen oder deine Mentorin handeln, damit das Feedback nützlich ist. Auch Menschen, mit denen du nicht so gut kannst oder deren Ratschläge in der Regel für die Katz sind, können konstruktive Kritik anbringen.

3. Höre gut zu, um zu verstehen

Um Missverständnisse zu vermeiden, höre gut zu, um genau zu verstehen, worum es deinem Gegenüber mit seiner Kritik geht. Dazu zählt, dass du ihm die Gelegenheit gibst, seine Gedanken gänzlich darzulegen, ohne ihn (ständig) zu unterbrechen. Ist die Person fertig, wiederhole, was sie dir gesagt hat und frage nach, wenn du bei einer Aussage ganz sicher sein möchtest.
Verzichte dabei jedoch darauf, das Gehörte schon zu analysieren oder gleich in Frage zu stellen. Denn es fällt nicht nur schwer, konstruktive Kritik anzunehmen – es ist mitunter auch nicht so leicht, sie äußern. Vielleicht findet dein Gegenüber nicht die richtigen Worte oder ist nervös, also rechne damit, dass du etwas missverstehen könntest. Auch hier solltest du lieber nachfragen – statt deinem Gegenüber deine Interpretation seiner Worte um die Ohren zu hauen.

4. Bedank dich

Das mag dir vielleicht schwerfallen, aber auf jeden Fall solltest du dich für das Feedback bedanken. Ein Dankeschön bedeutet nicht automatisch, dass du mit der Sichtweise einverstanden bist, es zollt der Person Respekt, die sich Zeit genommen hat, dir eine Rückmeldung zu geben. Wenn du dich bedankst, übertreib es nicht damit: Du musst der Person nicht um den Hals fallen, „bis in die Ewigkeit dankbar“ sein oder mit Freudentränen auf die Knie sinken. Sei seriös und nicht zu ausschweifend, aber ehrlich.

5. Stell Fragen, um die Kritik aufzuarbeiten

Nun wird es Zeit, dich mit dem Feedback auseinanderzusetzen. Auch wenn du nicht alles an der Kritik teilst, verstricke dich nicht in einer Grundsatzdiskussion. Seziere die Kritik in einzelne Stücke, um zum eigentlichen Problem zu gelangen und Lösungsmöglichkeiten zu finden.
Frage nach bestimmten Beispielen, damit du die Sichtweise des Gegenübers nachvollziehen kannst. Deine Präsentation war an einigen Stellen etwas ungenau und schwammig? An welchen Stellen? Und was war schwammig? Siehst du einen der genannten Punkte genauso, bestätige ihn, um zu zeigen, dass auch du konstruktiv mit der Kritik umgehst. Auch ist es von Interesse, ob du es sich um einen einmaligen Fehler handelt oder du ihn vielleicht schon häufig gemacht hast. Und nicht zuletzt: Frage auch immer nach Vorschlägen und Ideen, um in Zukunft anders an die Sache herangehen zu können.

6. Frage nach einem weiteren Treffen

Manchmal konntest du bereits alle relevanten Fragen stellen und alles hat sich für dich geklärt. Aber hin und wieder ist das Problem so komplex oder die kritisierende Person kann dir mit ihrem Wissen und ihrer Kompetenz helfen, ein größeres Problem zu beseitigen. Dann kann es sinnvoll sein, ein weiteres Treffen zu vereinbaren, um weitere, detailliertere Fragen zu stellen oder nächste Schritte zu besprechen. Das hat einen weiteren Vorteil für dich – du hast noch mehr Zeit, die Kritik zu verarbeiten, dir Ratschläge einzuholen und nach Lösungen zu suchen.


Konstruktive Kritik ist eine großartige Möglichkeit, deine eigenen Schwächen zu erkennen und an ihnen zu arbeiten. Gehst du sofort in eine Abwehrhaltung, kann es sein, dass du dich um wichtige Erkenntnisse bringst, die dir weiterhelfen könnten. Ehrliches, konstruktives Feedback bekommst du nicht an jeder Straßenecke hinterhergeworfen, deswegen solltest du es nicht leichtfertig ausschlagen.

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