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Der Jobeinstieg ist für jeden ein einschneidendes Ereignis. Man ging zur Schule und danach zur Uni und hat zwischendurch ein Praktikum absolviert. Der Einstieg ins Berufsleben ist da schon eine ganz andere Sache. Bei einigen verläuft die Jobsuche so schnell, dass der Wechsel zwischen der Uni und der Arbeit wie im Fluge vergeht. Bei anderen dauert diese Zeit länger.
Ich bin von Geburt an sehbehindert und habe erst vor wenigen Wochen meine mündliche Abschlussprüfung vom Masterstudium absolviert. Wie viele andere Absolventen machte auch ich Praktika; dennoch gestalten sich die Jobsuche, die Bewerbungsgespräche und auch die ersten Tage im Beruf etwas anders als bei Normal-Sehenden. Hierbei finde ich es immer praktisch, das Wichtigste aus dem Sozialgesetzbuch IX im Kopf zu haben, weil dieses sämtliche Sonderrechte für Menschen mit Behinderungen umfasst.

Schritt 1: Jobsuche und die Bewerbungsmappe

Ich habe meine Arbeit auf den gewohnten Jobportalen gesucht, auf denen viele Absolventenjobs zu finden waren. Für Geisteswissenschaftler gestaltet sich die Jobsuche oft schwieriger, aber es ist immer hilfreich, offen für etwas Neues zu sein. Bei Behinderungen muss man zusätzlich auch schauen, was machbar ist. So wäre für mich ein Job, bei dem man Handschriften transkribiert, nicht die erste Wahl gewesen. Worauf ich immer sehr stark geachtet habe, war die Anbindung an Bus und Bahn sowie die Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsplatz.
Bei der Bewerbungsmappe würde ich empfehlen, mit der Behinderung offen umzugehen. So kann man im Anschreiben dem Thema einen Teil eines Absatzes widmen, in dem man z.B. schreibt: „Ich bin sehbehindert, dies bedeutet für mich keine Einschränkung. Ich kann Schriften lesen, wenn es hell genug ist. Nur bei Handschriften habe ich Probleme.“ Die Behinderung sollte aber nicht zu viel Platz im Anschreiben einnehmen. Auch würde ich persönlich von Wörtern wie „leider“ abraten und mehr darauf eingehen, was man kann. Was man nicht kann, sollte dennoch kurz erwähnt werden. Besser ist es, wenn man vorher z.B. über die absolvierten Praktika schreibt. Der Schwerbehindertenausweis gehört mit zur Bewerbungsmappe und wird daher mit versandt.

Schritt 2: Gut vorbereitet ins Bewerbungsgespräch

Bevor es um das eigentliche Bewerbungsgespräch geht, solltest du dich nicht nur über den Arbeitgeber informieren, sondern auch den Weg bereits vorher anschauen. Zuerst klingt dies nicht ganz so spannend, ist aber sehr wichtig. Ich bin meistens schon ein paar Tage vor dem Gespräch zur Adresse hingefahren oder hingelaufen. Da die Straßenschilder und Hausnummern für mich nicht immer so gut zu sehen sind, habe ich drei Empfehlungen. So könntest du mit einem Freund zusammen den Weg gehen, dir den Weg im Vorfeld auf der Karte anschauen oder dich per Navigations-App dorthin leiten lassen. So erlebst du dann nicht am Tag des Bewerbungsgesprächs oder am ersten Arbeitstag die Überraschung, dass du gegen Schilder, Straßenlaternen oder andere Hindernisse läufst, die du im Stress völlig übersehen hast. Der erste Eindruck zählt; da wird eine Beule sicherlich nicht gut ankommen.
Im Bewerbungsgespräch selbst wird die Behinderung auf jeden Fall ein Thema sein. Dein Chef hat die Bewerbung gelesen und wird dich fragen, was du kannst – und noch wichtiger: Was du nicht so gut machen kannst. Ich bin im Bewerbungsgespräch offen damit umgegangen und hab erzählt, was ich sehe. Eine ganz wichtige Frage wird hierbei sein, wie der Arbeitsplatz ausgestattet sein soll. Die Palette reicht von einer hellen Lampe und hellen Bildschirmen (wie in meinem Fall) bis hin zu Braillezeilen und der Sprachausgabe bei Blinden.

Schritt 3: Die ersten Tage

Die ersten Tage im Beruf oder im Praktikum sind immer sehr spannend. Es gibt so viele neue Eindrücke und Menschen, die man kennen lernt. Es dauert immer etwas an Zeit, bis man wirklich drin ist. Für deinen Chef ist diese Zeit auch spannend, da auch er sehr viel lernen wird.
In den meisten Fällen wird der Computer noch nicht in den perfekten Einstellungen eingerichtet sein, wie du ihn brauchst. Vieles kann über Windows-Bordmittel schon gemacht werden, wie etwa das Ändern der Farbe des Mauszeigers oder der Darstellung auf dem Bildschirm. Für mich hat dies vollkommen ausgereicht. Wenn du aber speziellere Hilfsmittel benötigst, wie etwa ein Fernsehlesegerät oder eine Sprachausgabe, kannst du deinen Chef darauf ansprechen. Nach meiner Erfahrung dauert es häufig auch etwas länger, bis man sich in die firmeninternen Programme und Webseiten eingearbeitet hat. Häufig hat man von Zuhause keinen Zugriff darauf, sodass ich mir am Anfang viel Zeit dafür im Büro genommen habe. Mein Tipp ist hierbei, sich dafür Zeit zu nehmen und zu schauen, ob man vieles auch mit Tastenkombinationen erledigen kann. Mir geht es dabei so, dass es einfach viel zu lange dauert, bis ich den Mauszeiger gefunden habe. Aber irgendwann hat man auch da den Dreh heraus und überfliegt die Webseite oder das Programm im Blindflug, weil man ganz genau weiß, wo sich was befindet.

Ein Blick in den Paragraphendschungel

Ich bin zwar nicht der Freund davon, dass man mit Gesetzen um sich wirft, dennoch ist es immer praktisch, einen kleinen Überblick darüber zu haben. Dies gilt besonders dann, wenn man eine Behinderung hat. Im Sozialgesetzbuch IX werden sämtliche Themen zur Rehabilitierung behandelt. Ich werde an dieser Stelle kurz auf ein paar wichtige Gesetze eingehen.
Ein sehr wichtiger Paragraph ist Paragraph 154, da dieser besagt, dass ab der Zahl von 20 Beschäftigten eine Fünf-Prozent-Klausel gilt, bei der Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigt werden müssen. Dies gilt sowohl für private als auch für öffentliche Arbeitgeber. Als ich mich mal für eine studentische Stelle an der Uni beworben hatte, dachte ich, dass dies auch für Studentenjobs gelten würde. Jedoch besteht hier das Detail darin, dass laut Paragraph 156 ein Arbeitsplatz erst ab einer Wochenarbeitszeit von 18 Stunden als Arbeitsplatz gezählt wird. Ebenfalls wichtig ist Paragraph 160. Dieser besagt, dass ein Arbeitgeber, der nicht die Quote erfüllt, Ausgleichszahlungen leisten muss. Dieses Geld wiederum fließt in einen Fond, der die Ausstattung mit Hilfsmitteln am Arbeitsplatz finanziert. Ein ebenfalls sehr wichtiger Paragraph ist der Paragraph 208 aus dem Sozialgesetzbuch IX, da dieses fünf zusätzliche Urlaubstage für Menschen mit Behinderungen vorsieht.
Ich würde allerdings sehr stark davon abraten, im Bewerbungsgespräch zu stark über diese Gesetze zu sprechen. Im Bewerbungsgespräch geht es um dich und was du kannst. In größeren Betrieben und Institutionen ist der Gleichstellungsbeauftragte anwesend, der die Rechtslage kennt.

Falls du dich für die Arbeitsrechte für Menschen mit Behinderung sowohl auf Seiten des Arbeitnehmers als auch auf Seiten des Arbeitgebers interessierst, findest du auf der Seite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz das Sozialgesetzbuch IX als HTML- und als PDF-Version.

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